Achtsamkeit
Das habe ich nicht von der Achtsamkeit erwartet
Seit meiner Kindheit bin ich wohl die schlechteste Verliererin auf diesem Planeten – im Universum vielleicht sogar.
Ich komme aus einer Familie, in der der Wettkampfmodus an der Tagesordnung war. Das war oft lehrreich und positiv antreibend, und alle haben den fairen Wettkampf genossen, sei es auf dem Badmintonfeld, auf der Skipiste, beim Musikquiz oder beim Kartenspielen.
Ich bin die Älteste von drei Geschwistern und hatte daher gefühlt lange Zeit einen Vorteil in Fähigkeiten, Wissen und Können. Doch meine Geschwister waren nicht dumm, also fingen auch sie irgendwann an, mich herauszufordern oder sogar zu überholen – wie konnten sie es wagen?
Solange es nicht um meine Lieblingsspiele, meine Sportart oder mein Musikinstrument ging, konnte ich damit umgehen. Aber natürlich hatten sie es besonders darauf abgesehen. Ich erinnere mich daran, wie meine kleine Schwester das Klavierstück, das ich seit Wochen übte, einfach mühelos spielte, und auch daran, wie sie mich – beim Federball-Spielen, vor unseren Eltern, Nachbarn und meinen besten Freunden – mit einem Lächeln locker in die Tasche steckte und ich ausflippte – äußerlich und innerlich.
Ab da hat mich dieses Ausflippen leider oft begleitet. Anfangs habe ich es nicht so ernst genommen, und meine Umgebung fand es auch etwas unterhaltsam (sie sahen nicht immer die ganzen kaputten Gegenstände). Für mich war es jedoch sehr aufwühlend und zerstörerisch – stressig ohne Ende. Ich kann das Gefühl spüren, während ich darüber schreibe. Das ist kein schönes Gefühl, sondern eine Mischung aus Wut, Angst vor dem Scheitern und knallharte Selbstkritik und es hilft ganz sicher nicht zu besseren Leistungen oder zu mehr Selbstmitgefühl. Es lähmt eher.
Und ja, ich habe diese schlechte Verliererin mit in mein Erwachsenenleben genommen. Natürlich war sie meistens versteckt. Als erwachsener Mensch geht das Ausflippen nicht in dem Ausmaß, aber wer mit mir Spieleabende in der Vergangenheit verbracht hat (hier eine aufrichtig gemeinte Entschuldigung an andere Familienmitglieder!), weiß, dass diese Seite von mir bis vor nicht allzu langer Zeit quicklebendig war. Aus einer bestimmten Situation wurde mir bewusst, dass ich dieses Gefühl nicht mehr möchte – weder für mich noch für die Menschen um mich herum. Also habe ich mich entschieden, anders – in diesem Fall – achtsamer damit umzugehen.
Verstehe mich nicht falsch, ich bin ehrgeizig und liebe Herausforderungen, auch gerne in Wettbewerbssituationen. Aber ich habe erlebt, wie all meine Ressourcen, all meine Energie in dieses Ausflippen geflossen sind, und es hat keinen Mehrwert und nichts positives zwischenmenschliches gebracht. Also ran an den Bullshit!
Was habe ich gemacht? Ich habe das Gefühl und mein Verhalten dazu aufmerksam wahrgenommen. Immer wieder. (Bei uns wird ständig irgendetwas gespielt, Kniffel und Scrabble eignen sich hervorragend zum Üben). Und wenn ich gemerkt habe, dass dieses unangenehme Gefühl wieder aufkommt, habe ich es beobachtet, anstatt zu versuchen, es zu verdrängen. Manchmal habe ich sogar kleine Pausen gemacht und geatmet oder bin kurz aus den Situationen herausgegangen (Schatz, ich mache uns einen Espresso…). Und nach und nach konnte ich auch bei einem miserablen Punktestand etwas gelassener bleiben. Ist das wichtig? Für mich war es wichtig und eine außerordentlich einfache Möglichkeit, die Achtsamkeit im Alltag zu „testen“. Vielleicht ist es am besten, sie dort zu nutzen, da, wo man selber deutlich merkt, dass die eigene Art und Weise zu reagieren nicht hilfreich ist. Und es müssen nicht immer die großen Themen sein. Es darf auch eine Kleinigkeit sein. Diese Kleinigkeit war für mich größer als ich dachte.
In meiner Erfahrung ist der beste Beweis dafür, was die Achtsamkeit verändern kann, wenn die Menschen um einen herum eine Veränderung wahrnehmen. Ich bin froh, sagen zu können, dass es meine Familie wundert, dass ich mittlerweile gelassen verlieren kann, und es fühlt sich vollkommen OK an.
Lust auf eine achtsame Runde „Mensch ärger Dich nicht“? 😊